Sarah Siemons

 

Jahrgang 1981, Journalistin, Öffentlichkeitsarbeit bei einer Bank,
Leidenschaftliche Karnevalistin, Oecher Mädchen und Generalin
der Tropigarde.

 

 

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Wir fragten Sarah Simons:

Deine große Leidenschaft gilt dem Karneval. Wo hat diese Leidenschaft ihren Ursprung?

"Diese Leidenschaft kommt daher, weil ich Aachenerin bin und es neben der Alemannia und dem CHIO auch noch den Karneval liebe. Als Aachenerin muss man alle drei Elemente dazu nehmen. Im Karneval fühle ich mich zu Hause und aufgehoben. Auch, weil ich das mit meinen Freunden teile."
 

Bist du in Bezug auf den Karneval familiär vorbelastet?

„Ja und nein!“ Meine Eltern waren nie in einem Verein, also nie aktive Karnevalisten, aber wir haben Karneval zelebriert. Wir haben schon im Dezember Kostüme überlegt und geschneidert. Wir haben alles mitgemacht, Straßenkarneval, Kneipenkarneval, Kinderfeste… Und über meine Eltern bin ich auch zur Tropi Garde gekommen.
 

Was ist für Dich Karneval, wie ist Deine persönliche Definition von Karneval?

„Karneval ist für mich eine bestimmte Zeit. Das geht nicht das ganze Jahr über! Karneval heißt, die Sorgen zu vergessen, den kompletten Alltag abzustreifen und im positiven Sinne abzuschalten. Dazu gehört nicht "Koma-Saufen" oder sich betäuben, sondern mit Freunden Spaß haben und in der Gemeinschaft feiern."
 

Wie wichtig ist Dir das traditionelle Element im Karneval?

„Wichtig! Karneval braucht seinen Rahmen. Das kann man nicht im Hochsommer feiern – auch wenn mir manche Mallorca-Fete wie Fettdonnerstag vorkommt… Und es reicht auch kein Humbatäterä för echte öcher fastelovvend. Da braucht es schon etwas mehr. Für mich geht Karneval natürlich am Besten in der Tropi-Uniform und natürlich auch mit meinen besten Freunden, der Familie – also der Tropi-Garde! Aber mir ist auch wichtig, dass man nicht stur an Traditionen festhält, nur weil es immer schon so gewesen ist. Man muss auch mal Neues ausprobieren. Zum Beispiel ein Mädchen zum General machen…“

Welchen Stellenwert im Zusammenhang mit Karneval hat unsere Heimatsprache, unser Oecher Platt?

"Unsere Mundart hat für mich einen hohen Stellenwert. Ich bin in dieser Hinsicht vorgeprägt. Meine Mutter kommt aus Vaals und ich mag auch  das Volser Platt. Für mich steht aber das Oecher Platt an erster Stelle, das kommt von Herzen und Karneval wird durch Oecher Platt erst richtig schön! Vor allem, wenn geflucht wird, was das Zeug hält
 

Liege ich richtig wenn ich sage, dass Deine "organisierte" karnevalistische Heimat die Tropigarde ist?

"Ja, das ist definitiv richtig! Ich versuche jetzt erst auch andere Karnevalsvereine und Karnevalsveranstaltungen "analytisch" zu betrachten. Ich blicke gern hinter die Kulissen und komme mit den Leuten ins Gespräch. Meine Ursprünge, meine Wiege, liegt aber im Ostviertel in der Tropigarde.
 

Wenn ich an die Zeit zurückdenke, als mir die Tropigarde zum ersten Mal auffiel, dachte ich zunächst an das Limonadengetränk "Tropi" und dann, wegen der Tropenhelme, an Afrika und an Missionare. Was ist eigentlich die Tropigarde und woher kommt sie?

"Viele Leute glauben auch Tropi bedeute : "Trotz Pille geboren"  Damit hat es aber nichts zu tun. Damals, als die Tropis sich gründetes gab es Das Dschungelbuch, einen Film von Walt Disney. Für sieben Leute aus dem Freundeskreis von Hubert Crott hatte dieser Film prägende Wirkung. Es waren Leute, die aus der Pfarrjugend kamen und gerne Karneval feiern wollten. Man war sich einig, dass man eine gemeinsame Uniform benötigte und wie oft, kam der Zufall hinzu. Auf dem Lütticher Flohmarkt fand man Tropenhelme aus Armeebeständen und hatte damit bereits ein Element einer zukünftigen Uniform. Als Persiflage auf das preußische Militär wurde die Klobürste als Karikatur der Bewaffnung gewählt. Alle Elemente der Uniform sollen nicht ernst genommen werden, sondern ein Karikatur der Wirklichkeit sein.
 

Karnevalistisch groß geworden bist Du in der Tropigarde, groß geworden von Gestalt bist Du auch, aber auch zu Größe hinsichtlich Deiner Funktion in der Tropigarde hast Du es gebracht. Du bist General/In der Tropigarde!

"Oh ja, dass ist eine ganz aktuelle Diskussion in der Tropigarde! Heißt es General, Generalin, Generälin, sagt man Frau General und so weiter!
Diese Diskussion darf man auch nicht so ernst nehmen. Mir ist es egal, wie man mich nennt. Ohnehin lassen sich unsere Strukturen nicht mit anderen Vereinen vergleichen. Bei mir laufen zwar die Fäden zusammen und ich stehe in der ersten Reihe, aber Entscheidungen treffen wir demokratisch. Ich nenne mich übrigens selbst immer Generälin.“
 

Hast Du als Generälin "Kommandogewalt"?

"Wir entscheiden alle Dinge demokratisch, was auch gut funktioniert. Wir sind 120 Leute und am Ende muss einer sagen A oder B. Da bin ich dann gefordert mit unserem  Leitungsteam. Ich moderiere die Geschicke der Tropigarde. Wir sprechen in der Tropigarde sehr viel miteinander. Zu fragen „Wie geht es Dir, fühlst du dich bei uns noch wohl, egal ob du 18 oder 88 Jahre alt bist?“, jedem Gehör zu verschaffen, ist nach meinem Verständnis mein Job!"
 

Wert legt die Tropigarde auch darauf, ein "nichteingetragener Verein" zu sein!

"Ja, wir sind ein lockerer Haufen. Wir haben keine Satzung im üblichen Sinne. Unsere wichtigste Regel ist, Karneval zu feiern und über sich selbst zu lachen und sich nicht zu ernst zu nehmen. Wir sind auch nicht Mitglied im AAK. Dies liegt u.a. daran, dass es dann zahlreiche Dinge gibt, die man beachten und erfüllen muss, aber es steckt auch eine Ideologie dahinter. Wir verstehen uns zwar nicht als „alternativer Karneval“ aber in gewisser Weise als alternative zu den bierernsten Karnevalsvereinen und da passt es auch nicht, wenn wir uns in die Reihen des AAK einreihen."
 

Die Tropigarde feiert einen speziellen Karneval um nicht zu sagen alternativen Karneval. Ihr nehmt nicht nur die "Obrigkeit" auf die Schippe, sondern auch den Karneval selbst. Dennoch hat das traditionelle Element des Karnevals auch bei euch einen festen Platz.

"Die Tropigarde bietet beim Herzstück ihrer Veranstaltungen, das sind die vier Sitzungen pro Session, Theater. Es gibt das Rahmenprogramm, in dem eine Geschichte erzählt und Theater gespielt wird und in diese Handlung flechten wir verschiedene "Nummern" ein. Es werden Gesangnummern, Büttenreden, Comedy, Tanzdarbietungen usw. eingebaut. Dies ist so nicht traditioneller Karneval. Wir haben kein Mariechen, es gibt keine Aufmärsche, es gibt keinen Elferrat der auf der Bühne sitzt und es gibt keinen Sitzungspräsidenten. Insofern fallen wir aus dem Rahmen. Aber wir rufen Alaaf, es wird geschunkelt, wir pflegen traditionelles Aachener Liedgut. Es geht darum, lustig zu sein, darum sind wir auch nicht politisch, wir wollen nicht "bissig" sein, wir wollen einfach nur Fastelovvend fiere!"
 

Die Tropigarde ist auch in Sachen Talentbildung sehr erfolgreich.

"In erster Linie denkt man dabei sicher an "Josef, Jupp und Jüppchen" und an die "Vier Amigos". Diese beiden Gruppen sind natürlich zur Zeit unsere Aushängeschilder. Wir hatten aber auch damals als erste Formation "Puffel und Strick" oder später das Büttenredner-Duo "De Lörese", ich denke auch an unsere Sängerinnen „Böstomeritz“, die in Aachen und Umgebung erfolgreich sind und das macht uns auch sehr stolz."
 

Ursprünglich war es ein ungeschriebenes Gesetz, dass diese Gruppen exklusiv bei der Tropigarde auftreten.

"Ja, das ist auch immer noch so. Jede Gruppe bringt ein exklusives Programm erstmals bei der Tropigarde auf die Bühne. Wenn man also eine Tropi-Sitzung besucht, bekommt man ein exklusives Programm welches man sonst, zu dieser Zeit nirgendwo in der Stadt sehen kann! Was man in der aktuellen Session bei anderen Veranstaltungen von den genannten Gruppen sehen kann, ist eine Nummer aus dem letzten Jahr. Die Premiere findet immer bei der Tropigarde statt. Dies zählt zu den unausgesprochenen Regeln der Tropigarde!"
 

Es war ja nicht immer so, dass diese Gruppen außer bei der Tropigarde, auch bei anderen Veranstaltern, wie z. B. dem AKV, auftraten. Ich denke dabei an "Josef, Jupp und Jüppchen" und die "Vier Amigos", die "ausgerechnet" beim AKV auftraten. Wenn ich das Wort "Sündenfall" benutze, liege ich dann falsch?

"Nee, ganz falsch liegst Du damit nicht. Wenn man sich vor Augen führt, dass die Tropigarde gegründet worden ist, um u.a. den AKV auf die Schippe zu nehmen, dann darf sich der Eine oder Andere die Frage stellen: "Geht das überhaupt noch, wenn jetzt Tropis beim AKV auf der Bühne stehen?" Ich sehe es aber auch aus der Perspektive, dass man stolz sein und sich freuen kann, dass ein kleiner, alternativer Verein, ohne ein großes Budget, ohne Lobby und ohne viel Werbung, Formationen hervorgebracht hat, die die Leute auf die Stühle treibt. Ich persönlich sehe das nicht als Sündenfall sondern eher als Glücksfall und ich lache mir dabei ins Fäustchen! Der AKV baucht uns nämlich. Und: Man darf auch nicht vergessen, dass es sich bei den Veranstaltungen um ein Aushängeschild Aachens handelt und die so gut wie möglich aussehen zu lassen, macht uns  - wenn manchmal vielleicht unfreiwillig – zu Verbündeten.
 

Wie siehst Du die Zukunft des Aachener Karnevals als ein eigenständiges Element der Brauchtumspflege.

"Es ist Wunschdenken, aber ich wünsche mir, dass es immer mehr Volkskarneval wird. Ich denke dabei ganz praktisch. Die Leute haben nicht mehr so viel Geld im Portmonee, sie werden sich in Zukunft ganz gezielt Veranstaltungen aussuchen und nicht mehr wahllos und beliebig zu Veranstaltungen gehen können weil sie das Geld dazu nicht mehr haben. Sie werden sich ihre Lieblingsveranstaltungen herauspicken, die dann hoffentlich an Qualität zunehmen. Es wird hoffentlich auch mehr zu den Ursprüngen gehen, zum Kneipenkarneval, wo man auch ohne viel Geld und ohne viel Gehabe feiern kann. Für den Straßenkarneval gilt das auch. Das ist mein Wunschdenken.
Viele große Vereine bekommen heute schon Probleme, große Säle zu füllen und ein großes Programm auf die Beine zu stellen. Vielleicht schließen sich dann Vereine zusammen oder gehen wieder zurück in kleine Säle oder machen weniger Veranstaltungen. Dann ist auch nicht mehr alles so groß und so beliebig, wie es mittlerweile geworden ist.


Siehst Du eine Gefahr darin, dass man bei der Überlegung nach der Zukunft des Karnevals und der Problematik die Säle voll zu bekommen, auf die Idee kommen könnte sich vom traditionellen Karneval zu entfernen und sich mehr an Party und Event, auch außerhalb der am christlichen Kalender verankerten Jahreszeit, zu orientieren.

"Wenn man sich anschaut welche Angebote für junge Menschen in Aachen vorhanden sind, so stellt man fest, dass dies zu ca. 80 Prozent beliebige Partys sind, die austauschbar sind, egal in welcher Stadt oder zu welcher Jahreszeit sie angeboten werden. Zu 20 Prozent gibt es dann noch kleine Veranstaltungen z. B. im Pfarrkarneval, der geprägt ist vom Veranstalter oder von dem organisierenden Verein. Ich hoffe, es wird immer mehr Menschen geben, die nicht mehr in einem großen Zelt bedudelt werden wollen, sondern zurück zu dem ursprünglichen Karneval wollen.
Man muss natürlich auch ein Stück weit von der Tradition weg, bei der Mädchen im Karneval nur in der zweiten Reihe vorkommen. Entweder dürfen sie Tanzmarie werden oder  sie sind schmückendes Beiwerk auf der Bühne oder kümmern sich um die Kinder oder die Kostüme. Davon müssen wir weg! Vereine, die sich als reine Männervereine verstehen, haben, wie ich glaube, keine Zukunft.
Auch muss man jüngere Leute mehr heranlassen. Viele ältere Herrschaften sitzen auf ihren Posten und sagen "so haben wir das schon immer gemacht, dass ist super! Ich habe den Verein aufgebaut und ich habe viel für den Verein gemacht!"
Man muss junge Jungs und Mädchen heranlassen und auch gewähren lassen! Nur so kann der traditionelle Karneval nach vorne gebracht werden!"

Was wünschst Du Dir in Bezug auf den Aachener Karneval?

"Ich wünsche mir, dass man sich als Karnevalist und Aachener auf Augenhöhe begegnet und die Leistungen der einzelnen Vereine unabhängig von ihrer Größe oder ihren materiellen Möglichkeiten bewertet. Schau dir mal die Börjerwehr an, was für eine tolle und große Truppe oder schau auf die Bonneplöcker, was kriegen die auf die Reihe, mit wenig Geld. Ich wünsche mir, dass man nicht unterscheidet zwischen einer glanzvollen Garde, die es schon sehr lange gibt, und die mit einer tollen Uniform daher kommt oder dem kleinen Verein, der mit 50 Mitgliedern eine tolle Veranstaltung macht. Wir sollten sagen, ich bin dabei, ich bin gerne dabei und zahle auch gerne die 20 Euro um mit euch mein Bierchen zu trinken. Wir sollten das Lied, "Vüür sönd allemole Oecher Jonge!" nicht nur singen, sondern es auch leben, und dass funktioniert auch das ganz Jahr! Wobei "Oecher Jonge" auch Mädchen sein können!"