|
Karneval
unterliegt wie alle Lebensbereiche einem stetigen Wandel. Wie siehst
Du diesen Wandel und welche Konsequenzen ergeben sich daraus für das
Brauchtum Karneval?
Der Karneval
ist, wie man so sagt, in die Jahre gekommen. Dies hat verschiedene
Gründe. Der Karneval hat den Wandel in unserer Gesellschaft wie mir
scheint nicht zur Kenntnis genommen oder ihn geflissentlich
übersehen. Karneval ist eigentlich etwas, was für alle da ist. So
wie sich heute der Karneval präsentiert, reduziert er sich auf eine
bestimmte Altersgruppe. Viele junge Menschen haben an dem Karneval,
den meine Generation feiert, relativ wenig Interesse. Dies bedeutet
aber nicht, dass sie kein Interesse an Karneval haben. Man muss
ihnen etwas anbieten, was ihren Lebensformen entspricht. Wir haben
damals im AKV versucht, neben den traditionellen Veranstaltungen
auch Veranstaltungen zu schaffen, die von Menschen im Alter zwischen
18 bis 25 und 25 bis 45 Jahren besucht werden. Diese Altersgruppen
möchten auch Karneval feiern, aber einen anderen Karneval. Mir
scheint es, dass die Zeit über den Karneval, so wie wir ihn gefeiert
haben, hinweggerollt ist, ohne dass wir uns Gedanken darüber gemacht
haben, wie wir das Brauchtum Karneval in die nächste oder
übernächste Generation bringen können. Diese Überlegungen werden
relativ wenig und auch mit wenig Substanz angestellt.
Das hat zu
Folgeproblemen geführt, wie dem Verschwinden des Straßenkarnevals.
Man konnte von Kneipe zu Kneipe ziehen und war überall gerne
gesehen, die Straßen waren voll, weil die Leute von Kneipe zu Kneipe
zogen.
Heute
„braucht“ man nicht mehr von Kneipe zu Kneipe zu ziehen, heute geht
man ins Pennzelt?
Ja, das
Pennzelt ist eine Möglichkeit, aber es wäre schön, wenn es nicht die
einzige wäre. Es gibt zu wenig Kneipen, die an den Karnevalstagen
geöffnet haben. Das Argument ist oft, es würde zuviel in den Kneipen
beschädigt. Früher hat man dies allerdings durch entsprechende
organisatorische Maßnahmen in den Griff bekommen. Durch den Wegfall
des Kneipenkarnevals geht natürlich die Basis verloren, es findet
auch kein Karneval auf der Straße statt. Das Pennzelt ist in ein
entstehendes Vakuum gestoßen, als die Kneipen sich, aus welchen
Gründen auch immer, verweigerten. Das Problem ist, dass man sich
gegenseitig das Publikum wegnimmt. Wenn man so will, ist diese
Entwicklung der Fluch der guten Tat!
Was ist der
Ersatz dafür?
Ersatz kann
nicht nur der Veranstaltungskarneval in den Sälen sein, das ist zu
wenig. Damit wird nur ein Teil der Zielgruppe angesprochen und schon
gar nicht, wenn es Veranstaltungen sind, bei denen man 30,-, 50,-,
oder gar 85,- Euro Eintritt zahlen muss.
Wo bleibt der
Volkskarneval, wenn man sich für das gezahlte Eintrittsgeld nur
unterhalten lassen will?
Das ist das
Thema! Karneval kann man sich nicht „machen lassen“! Karneval muss
man selbst machen, Karneval muss man leben und erleben! Das
„gefüttert werden“ von engagierten Profis, deren Auftritte als
Programm verkauft werden, hat mit unserem Karneval nichts mehr zu
tun. Hinzu kommt, dass Karneval und Dialekt, unser Öcher Platt,
untrennbar zusammen gehört. Wenn man Platt nicht verstehen oder
nicht sprechen kann, fehlt natürlich auch ein Element, was früher
noch zum Karneval dazu gehörte. Die schönsten Lieder zum Mitsingen
sind die Lieder auf Öcher Platt. Öcher Platt spricht und hört man
mit dem Herzen und Karneval ohne Herz gibt es nicht!
Ist zum
Beispiel die „Carnevale“ des AKV, obwohl dort „Kostümzwang“
herrscht, ein Vorreiter des Party-Karnevals?
Darin sehe ich
kein Problem, handelt es sich doch hier um ein Beispiel des
generationspezifischen Karnevals, wie ich ihn eingangs schon
erwähnte. Carnevale ist das typische Beispiel für ein Angebot an
eine altersspezifische Zielgruppe. Wenn es dort neben
karnevalistischen Programmelementen auf der Bühne einem DJ gelingt,
Karnevalslieder zu spielen, dann ist dies für mich eine
Karnevalsveranstaltung die genau die Gruppen anspricht, die wir eben
genannt haben.
Sommerkarneval, ein Begriff, der immer mehr kontrovers diskutiert
wird. Es geht um die wachsende Tendenz, den Karneval über den
Aschermittwoch „hinaus zu retten“. Ist Karneval immer und überall zu
feiern?
Es mag sein,
dass es eine Frage des Alters ist, aber ich habe damit
Schwierigkeiten. Ich weiß nicht, ob die Menschheit mittlerweile zu
dumm ist, ihre eigenen Feste zu organisieren. Den Versuch, Karneval
über den Aschermittwoch hinaus auszudehnen, halte ich für fragwürdig
und es ist gewiss nicht der richtige Ansatz. Dies ist für mich der
verdeckte Versuch, über den Aschermittwoch hinaus eine
karnevalistische Fete zu feiern. Regionale, jahreszeitlich
orientierte Volksfeste, haben ihre regionale Bedeutung und
Berechtigung, sind aber kein Karneval.
Die zeitliche
Begrenzung des Karnevals mit seinem Ende am Aschermittwoch und dem
Zusammenhang mit dem christlichen Kalender gerät immer mehr in
Vergessenheit.
Wie oft
erkennt man heute, dass Brauchtum und Traditionen schon deshalb
nicht mehr eingehalten werden, weil die Menschen sie nicht mehr
kennen. Wenn man die Leute befragt, stellt man fest, dass sie mit
diesen Dingen nicht vertraut sind und kaum noch wissen, warum dieses
oder jenes Fest gefeiert wird. Man kennt Halloween und erinnert sich
kaum an St. Martin.
Wer ist denn
nun der geborene Hüter des Aachener Karnevals? Kann der Ausschuss
Aachener Karneval, der AAK, diese Aufgabe erfüllen?
Der AAK ist
ein Organ, das bestückt wird von allen Vereinen, die in Aachen
Karneval betreiben. Da stellt sich natürlich die Frage, was kann man
von diesem Gremium erwarten, was kann dieses Gremium leisten. Die
Leute die dort sitzen haben natürlich das Interesse, Publikum für
ihre Veranstaltungen zu bekommen und die Veranstaltungen voll zu
bekommen. Da gibt es natürlich gewisse Interessenkonflikte. Es ist
wahnsinnig schwierig, aus einer solchen Gruppe heraus neue, kreative
Ideen zu bekommen. Das hat es einmal zu Helmut Stracks Zeiten
gegeben. Da müsste dann auch ein kleines, unabhängiges
Spitzenkomitee sitzen, das auch etwas durch- und umsetzen kann.
Kommen wir am
Ende des Gespräch zu „A“ wie AKV und zu „O“ wie Orden „Wider den
Tierischen Ernst“. Ein potentielles Sorgenkind des Aachener
Karnevals.
Wie siehst du, als ehemaliger Präsident und heutiger Ehrenpräsident
des AKV, die Zukunft des Ordens „Wider den Tierischen Ernst“?
Der Orden
„Wider den Tierischen Ernst“ hat jetzt eine Geschichte von 60
Jahren. In diesen 60 Jahren ist ungeheuer viel passiert und es ist
immer schwerer geworden, satzungsgemäße Ordensritter zu finden. Die
Zeit ist, wie mir scheint über den Orden hinweggegangen und dies
nicht nur in Bezug auf die Ritter, sondern auch darauf, welches
Programm man macht. Ich halte den Versuch, den Orden „Wider den
Tierischen Ernst“ zu einer reinen Revue-Show zu machen, für den
falschen Ansatz. Tun wir dies, begeben wir uns auf ein Gebiet, wo
wir austauschbar sind und wo andere möglicherweise besser, weil
professioneller sind als wir. Unser großer Vorteil ist unsere eigene
Originalität. Diese Originalität kann in zwei Dingen bestehen:
einmal in einem starken Aachener Element, und komme man mir nicht
mit dem Argument, „Öcher Platt versteht keiner“! Man kann unseren
Dialekt auf ein Niveau bringen, das man überall verstehen kann. Das
zweite Element besteht darin, die richtigen Leute auf die Bühne zu
bringen wie zum Beispiel die „Vier Amigos“ oder „Josef, Jupp und
Jüppchen“. Der nächste Punkt ist die Frage, wie können wir uns
weiter unterscheiden von anderen Veranstaltungen. Dies geht, indem
wir Menschen in die „Bütt“ bringen, die nirgendwo anders sind. Diese
Mitwirkenden muss man dann allerdings sorgfältig aussuchen. Da kann
man nicht irgend einen Politiker aus Baden-Württemberg auf die Bühne
stellen! Wenn man diese Mischung auf die Bühne bringt, wird die
Veranstaltung für den Zuschauer wieder interessant, für „Klaus &
Klaus“ aus Norddeutschland schaltet niemand den Fernseher an.
Nach den
Beobachtungen der letzten Jahre könnte man sagen, ein neues Konzept
muss her! Gibt es eine Art von „Denkfabrik“ im AKV?
Ich bin, was
die konkrete Situation im AKV betrifft, nicht ganz auf dem aktuellen
Stand. Ich möchte die Frage so beantworten, es müsste sie aus den
verschiedensten Gründen geben. Auf der einen Seite müsste es ein
Creativteam geben, das sich mit der nächsten Ordensverleihung
befasst. Daneben wäre die langfristige Überlegung wichtig. Man
sollte sich gedanklich in die nächsten 15 Jahre begeben und mögliche
Szenarien durchspielen. Dazu gehört auch, dass man sich die Frage
stellt, was ist, wenn das Fernsehen nicht mehr oder nur noch einen
kurzen Ausschnitt, zum Beispiel den eigentlichen Festakt der
Ordensverleihung überträgt. Für diese Fälle müsste man ein Gremium
haben, welches Strategien entwirft, die zu verfolgen sind, wenn ein
solcher geschilderter Fall eintritt.
Du pflegst den
traditionellen Karneval auch aktiv als Künstler auf der Bühne. Als „Lennet
Kann“ bist Du über Deine Auftritte bei der Fernsehsitzung des AKV
weit über Aachen bekannt geworden. Wie kam es dazu?
Ich bin 1969
als Prinz Karneval zum Karneval gekommen und habe damals Kontakt zu
Jupp Schollen bekommen. Damals trat der Prinz-Karneval als letzte
Nummer in der Veranstaltung auf, als vorletzte Nummer kam Jupp
Schollen. Mein damaliger Hofstaat und ich haben Jupp häufig nach
Hause gefahren. Über die Zeit hat sich dann so etwas wie
Freundschaft entwickelt und es kam dazu, dass ich die Rolle des „Lennet
Kann“ übernahm. Ich wollte kein zweiter Jupp Schollen sein, der war
nicht zu imitieren, der war einzigartig. Mit Hilfe von Gitta Haller
entwickelte ich die Figur des „Lennet Kann“. Der Hintergrund war
meine Liebe zum Karneval und zu Aachen und zum Oecher Platt. Der
Aachener Karneval ist ein unverwechselbarer und nicht austauschbarer
Bestandteil der Stadt Aachen. Wir sollten versuchen, soviel wie
möglich für kommende Generationen hinüber zu retten in die Zukunft.
Wir müssen uns Gedanken darüber machen, wie wir das an unsere Kinder
und Enkelkinder übertragen können. Dies kann man nur mittels Mittel
und Methoden übertragen, die den jungen Menschen nahe sind. Nur so
haben wir eine Chance. Wir müssen Formen finden, die zeitgemäß und
für alle akzeptabel sind.
Eine Frage
darf ich nicht versäumen. Der „Lennet Kann“, so wie Du ihn
interpretierst, bzw. darstellst, ist weit über Aachen hinaus
beliebt. Die Darstellung, bzw. die tänzerische Interpretation,
polarisiert aber auch bei den Aachenern. Viele Oecher sagen, so war
Lennet nicht, er war nicht behindert. Du stellst Lennet als, wie der
Oecher sagt, besonders „klapprigen“ Menschen dar.
Diese Kritik habe ich natürlich gehört und zur Kenntnis genommen und
war auch entsetzt darüber, dass es so aufgefasst wurde. Ich habe mir
das zu Herzen genommen und ich denke, man kann auch sehen, dass ich
bei Auftritten in den letzten Jahren die Bewegungen nicht mehr so
hektisch, sondern viel ruhiger mache. Gerade wegen seines seltsamen
Ganges wurde Lennet ja von den damaligen Studenten, die ihn auch
gerne trunken machten, zur Schau gestellt und verulkt. Ich werde
weiterhin an der Präsentation und an den kritisierten Elemente
arbeiten.
|