Das folgende Interview mit der Oberbürgermeisterin führte Helmut
Koch für "karnevalinaachen.de"
im Aachener Rathaus.
Erinnern Sie
sich an Ihre ersten Erfahrungen mit dem Karneval?
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„Meine erste Verbindung mit Karneval hat
mit meiner Tante zu tun. Sie war Schneiderin und nähte
für uns Kinder viele Kostüme. Ich verkleidete mich immer
gerne. Oft stöberte ich in ihrem Fundus, den ich liebte.
Es gibt einige Bilder von einer Fotografin, auf denen
wir im Kostüm zu sehen sind. Besonders an ein Foto
erinnere ich mich, mein Bruder als Cowboy und ich als
Funkenmariechen verkleidet. Beide sehen wir in diesem
Moment nicht so richtig glücklich aus. Unvergessen ist
die Zeit mit meinem Bruder als Kinderprinz in Mayen. Ich
lernte den Karneval in all seinen Facetten kennen. Ich
war die große Schwester des „kleinen Prinzen“. Es war
eine tolle Zeit.
Was ich am Karneval so schätze, ist die
Tradition, in andere Rollen zu schlüpfen. Ich liebe es,
von einer Rolle in eine andere und wieder zurück zu
schlüpfen. Deshalb spielte ich auch viele Jahre Theater.
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Foto:
Privat |
Diesen Wechsel
bietet der Karneval sehr niedrigschwellig an. Da treffen wir beide
uns als Pädagog*innen, weil es aus meiner Sicht sehr wichtig ist,
eine Rollenvielfalt zu haben und die Rollen einfach mal ungeschützt
auszuprobieren.
Auch der Kinderzug gehörte zu meiner Kindheit. Meine Eltern führten
eine Gaststätte auf dem Markt und allein deshalb waren wir immer nah
am Karnevalsgeschehen. Mein Vater versprach auf einem Bierdeckel
einer Karnevalsgesellschaft, dass mein Bruder Kinderprinz wird. Ich
war damals 16 Jahre und mein Bruder 12 Jahre alt. Dies war die
Session, bei der ich alles an Veranstaltungen, die es im Karneval
gibt, mitmachte.“
Sind Sie
Karnevalistin?
„Ich bin Teilzeit-Karnevalistin. Mit sechzehn, siebzehn und achtzehn
Jahren feierte ich noch intensiv Karneval. Das rückte in den
Hintergrund, als ich mit dem Studium anfing. Jetzt wieder im bunten
Treiben mitzumischen, ist wie ein zweiter Karnevals-Frühling. Der
Funke hat sich wieder entzündet. Vergangenes Wochenende tauchte ich
in die Aachener Karnevalswelt ein und die Karnevalsfreude ist wieder
da. Meine Haltung dazu und so verstehe ich auch mein Amt als
Oberbürgermeisterin: Wenn ich etwas mache, dann mache ich es
richtig.“
Karnevalisten und
Karnevalistinnen sagen: „Karneval ist Kulturerbe!“ Sehen sie das
auch so?
„Es ist auf jeden Fall Teil der Kultur. Es ist eine Kultur, die zum
Feiern einlädt. Sie hat ihre Struktur und noch immer viele tradierte
Elemente, die sich im Laufe der Zeit nur wenig verändern. Karneval
ist den Menschen wichtig. Im Rheinland gehört er zum Leben dazu.
Karneval steht auf der Liste des immateriellen Kulturerbes. Das ist
richtig so, damit er bewahrt wird.“
Ist Karneval für
Rheinländer ein identitätsstiftendes Element?
„Auf jeden Fall! Der Karneval wird in der Stadt gelebt. Die Stadt,
aus der ich komme, lebt genauso den Karneval. Es gibt nur eine
Eigenart bei der Frage „Alaaf“ oder „Helau“. In Mayen rufen die
Karnevalist*innen „Mayen Mayooh“.“
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Ist
Karneval, ähnlich wie in Köln, auch Teil des
Stadtmarketings?„
Der „Orden Wider den Tierischen Ernst“ ist
natürlich ein großes Pfund. Er ist zusammen mit dem
„Internationalen Karlspreis“ ein Leuchtturm Aachens in der
medialen Welt. Beide bringen Einschaltquoten und eine
bundesweite Aufmerksamkeit für unsere Stadt in ihrer
Vielseitigkeit.
Besonders der Straßenkarneval in Aachen kann sich wirklich
sehen lassen. Die Züge sorgen für Bewegung im doppelten
Sinne, mit ihnen präsentiert sich die Stadt nach außen. Wir
könnten dies durchaus selbstbewusster tun.
Auch der Festausschuss Aachener Karneval ist sehr engagiert,
den Aachener Karneval mehr zur Geltung zu bringen und zu
profilieren. Ich finde das richtig und angemessen. Wir
tauschen uns zu dieser Frage rege aus.“ |
Foto: Carl
Brunn |
Die
Karnevalsfamilie freute sich, als bekannt wurde, dass dem Oecher
Schängchen durch Initiative großzügiger Stifter ein Denkmal gesetzt
werden sollte. Jetzt, wo sich die Aufstellung verzögert, fehlt es
zusehends an Verständnis.
Wissen Sie, warum die Aufstellung so lange dauert?
„Darin sind ja mehrere Beteiligte eingebunden. Das ist
hochdemokratisch, was den Standort betrifft. Das Denkmal gehört in
die Stadt. Nicht Alle, die ein Denkmal spenden, haben automatisch
das Recht, dieses mitten in der Stadt zu verorten. Die
Bezirksvertretung Aachen Mitte positionierte sich hierzu nach
intensiven Diskussionen und legte einen Standort fest. Alle wollen
für das Schängchen einen angemessenen Platz in Aachen finden, hier
gab es aber unterschiedliche Vorstellungen. Dabei muss
berücksichtigt werden, wo es hinpasst, auch im Kontext mit anderen
Denkmälern in der Stadt. Ich finde den Standort am Elisenbrunnen,
mitten im Zentrum, eine sehr gute Lösung.“
Verkleiden
gehört zum Karneval. Kappen, Federn, Zepter, Kette für Prinzen und
Präsidenten und das närrische Fußvolk schlüpft in beliebige
Verkleidung, besser gesagt, schlüpfte in beliebige Verkleidung. Seit
man das Problem der „kulturellen Aneignung“ glaubt erkannt zu haben,
ist Schluss mit lustig! Indianer, Cowboy, Sarotti-Mohr geht nicht
mehr – oder?
„Sarotti-Mohr geht gar nicht. Wer mich kennt, weiß, dass ich sehr
lebensnah und anpackend bin, ich habe versucht, meinen Söhnen kein
Kriegsspielzeug zu geben, das habe ich auch geschafft. Aber an der
Pistole im Karneval bin ich gescheitert, weil es zum Feiern dazu
gehört. Es ist Teil von Karl May und es ist Teil einer Rolle, in die
die Kinder schlüpfen. Es ist nicht meine Art, Dinge zu verbieten.
Als Pädagogin begleite ich eher Dinge kritisch. So machte ich das
mit meinen Söhnen und achtete auf den bewussten Umgang. Wenn man die
Debatte sehr eng führt, darf man sich überhaupt nicht mehr
verkleiden. Dann kann ich nur noch Fantasy-Kostüme nehmen, die
überhaupt kein reales Abbild haben, weil ich sonst immer Gefahr
laufe jemand ins Lächerliche zu ziehen. Im Kinderkarneval sollte man
das Thema mit den Kindern besprechen und offensiv angehen.“
Wie wichtig ist
es für Menschen im Karneval in eine andere Rolle zu schlüpfen?
„Das gehört zum Karneval originär dazu, das ist der traditionelle
Hintergrund, vor der Fastenzeit noch einmal zu feiern. In der
alemannischen Fastnacht haben die Kostüme unterschiedliche,
spezifische Ausprägungen. Bei uns im Rheinland kostümiert man sich
und begegnet sich in neuen Rollen. in dieser Zeit finde ich es
wichtig, in eine andere Rolle schlüpfen zu können. Das bereitet Spaß
und Freude. Karneval ist Dauerlachen im Kostüm und gibt uns neue
Kraft für die ernsthaften Themen. Im Karneval kann man seine
„Zwangsjacke“ des Alltags ablegen und sich neu erleben. Der Karneval
ist fast „sozialistisch“. Im Karneval sind alle gleich und auf
Augenhöhe. Dieses Gesellschaftsbild gefällt mir. Daher ist mir der
traditionelle Karneval, der Volkskarneval, sehr nahe.“
Kritik und
Spott an der Obrigkeit sind auch Elemente des Karnevals. Sind
dosierte Grenzüberschreitungen erlaubt? Hat der Narr alle
Freiheiten? Wo sehen Sie die Grenzen?
„Persönliche Beleidigungen sind eine absolute Grenze. Der Respekt
vor der Person muss gewahrt werden. Über Inhalte, Haltung oder
Sichtweisen lässt sich trefflich streiten. Angriffe gegen die Person
gehen gar nicht. Da hört der Spaß auf. Ich freue mich auf die
Pennsitzung und die Büttenreden, denn hier wird das Leben aufs Korn
genommen.“
Bei der
Auftaktveranstaltung des AAK am Holzgraben wurden Sie bei Ihrer
Ansprache kurz ausgepfiffen. Hat Sie das getroffen?
„Das ist natürlich nicht angenehm, es ist eine kritische Äußerung.
Ich nehme es sportlich. Das Leben ist ein stetiger Lernprozess und
auch diese Menschen können überdenken, ob ihre Pfiffe angemessen
waren. Das ist die Frage der Klischees und der Schubladen. Diese
Menschen sehen mich in einer Schublade. Ich bin überzeugt, dieses
Jahr werden es weniger Pfiffe sein. Mich ärgerte, dass die Zeitung
aus den Pfiffen „Buh-Rufe“ machte. Das war deutlich übertrieben.“
Wird die
Oberbürgermeisterin an der Spitze des Rosenmontagszuges durch die
Stadt fahren und den Jubel des närrischen Volkes genießen?
„Auf jeden Fall. Ich werde den Menschen mit offenen Armen zujubeln.
Das hat mir damals bei meinem Bruder auf dem Wagen am meisten Spaß
gemacht.“
Werden Sie der
Verleihung des „Ordens Wider den Tierischen Ernst“ beiwohnen?
„Ja,
aber selbstverständlich! Letztes Jahr bei der „Online-Sitzung“ war
ich leider nicht eingeladen. Ich freue mich sehr auf die kommende
Sitzung und werde im Kostüm erscheinen.“
In früheren
Jahren konnten sich die Karnevalisten auf wohlwollende Unterstützung
der Stadt bzw. der Oberbürgermeister verlassen.
Können sie das auch weiterhin?
„Natürlich! Nach zehn Jahren wird am Fettdonnerstag um 11 Uhr vor
dem Rathaus wieder eine Bühne aufgebaut. Wir werden die Erstürmung
des Rathauses begleiten. Die Frauen erstürmen das Rathaus, obwohl ja
schon eine drin sitzt! Gerne überlasse ich dem Prinz und den
Marktweibern das Rathaus und werde in das Karnevalstreiben der Stadt
eintauchen. Diese finde ich schön: Das Volk erstürmt das Rathaus und
übernimmt das närrische Regime. So kenne ich es auch aus meiner
Heimatstadt in der die Möhnen das Rathaus erstürmen. In diesem Jahr
wollen wir gemeinsam mit der „Blauwe Schuit“ und den Bürger*innen
auf dem Markt feiern. Das KK Oecher Storm und die Rathausgarde
Oecher Duemjroefe sind dabei. Die Maatwiever und die Frauen vom
Oecher Storm erstürmen das Rathaus. Ich werde mit meiner
Rathausgarde nicht lange standhalten, da bin ich mir sicher.“
„karnevalinaachen.de“ dankt für das Interview und wünscht einen
schönen Oecher Fastelovvend 2023. |