Interview mit Oberbürgermeisterin Sibylle Keupen

Sibylle Keupen wurde 1963 in Mayen geboren, studierte Pädagogik an der Universität Trier und schloss als Diplom Pädagogin ihr Studium ab. 1994 übernahm sie die Leitung der Bleiberger Fabrik in Aachen, wo sie im Jahr 1997 die Jugendkunstschule gründete. Seit 1. November 2020 ist sie Oberbürgermeisterin der Stadt Aachen.

 

Das folgende Interview mit der Oberbürgermeisterin führte Helmut Koch für "karnevalinaachen.de" im Aachener Rathaus.

Erinnern Sie sich an Ihre ersten Erfahrungen mit dem Karneval?    

 

„Meine erste Verbindung mit Karneval hat mit meiner Tante zu tun. Sie war Schneiderin und nähte für uns Kinder viele Kostüme. Ich verkleidete mich immer gerne. Oft stöberte ich in ihrem Fundus, den ich liebte. Es gibt einige Bilder von einer Fotografin, auf denen wir im Kostüm zu sehen sind. Besonders an ein Foto erinnere ich mich, mein Bruder als Cowboy und ich als Funkenmariechen verkleidet. Beide sehen wir in diesem Moment nicht so richtig glücklich aus. Unvergessen ist die Zeit mit meinem Bruder als Kinderprinz in Mayen. Ich lernte den Karneval in all seinen Facetten kennen. Ich war die große Schwester des „kleinen Prinzen“. Es war eine tolle Zeit.
Was ich am Karneval so schätze, ist die Tradition, in andere Rollen zu schlüpfen. Ich liebe es, von einer Rolle in eine andere und wieder zurück zu schlüpfen. Deshalb spielte ich auch viele Jahre Theater.

Foto: Privat

Diesen Wechsel bietet der Karneval sehr niedrigschwellig an. Da treffen wir beide uns als Pädagog*innen, weil es aus meiner Sicht sehr wichtig ist, eine Rollenvielfalt zu haben und die Rollen einfach mal ungeschützt auszuprobieren.
Auch der Kinderzug gehörte zu meiner Kindheit. Meine Eltern führten eine Gaststätte auf dem Markt und allein deshalb waren wir immer nah am Karnevalsgeschehen. Mein Vater versprach auf einem Bierdeckel einer Karnevalsgesellschaft, dass mein Bruder Kinderprinz wird. Ich war damals 16 Jahre und mein Bruder 12 Jahre alt. Dies war die Session, bei der ich alles an Veranstaltungen, die es im Karneval gibt, mitmachte.“

Sind Sie Karnevalistin?
„Ich bin Teilzeit-Karnevalistin. Mit sechzehn, siebzehn und achtzehn Jahren feierte ich noch intensiv Karneval. Das rückte in den Hintergrund, als ich mit dem Studium anfing. Jetzt wieder im bunten Treiben mitzumischen, ist wie ein zweiter Karnevals-Frühling.  Der Funke hat sich wieder entzündet. Vergangenes Wochenende tauchte ich in die Aachener Karnevalswelt ein und die Karnevalsfreude ist wieder da. Meine Haltung dazu und so verstehe ich auch mein Amt als Oberbürgermeisterin: Wenn ich etwas mache, dann mache ich es richtig.“

Karnevalisten und Karnevalistinnen sagen: „Karneval ist Kulturerbe!“ Sehen sie das auch so?
„Es ist auf jeden Fall Teil der Kultur. Es ist eine Kultur, die zum Feiern einlädt. Sie hat ihre Struktur und noch immer viele tradierte Elemente, die sich im Laufe der Zeit nur wenig verändern. Karneval ist den Menschen wichtig. Im Rheinland gehört er zum Leben dazu. Karneval steht auf der Liste des immateriellen Kulturerbes. Das ist richtig so, damit er bewahrt wird.“

Ist Karneval für Rheinländer ein identitätsstiftendes Element?
„Auf jeden Fall! Der Karneval wird in der Stadt gelebt. Die Stadt, aus der ich komme, lebt genauso den Karneval. Es gibt nur eine Eigenart bei der Frage „Alaaf“ oder „Helau“. In Mayen rufen die Karnevalist*innen „Mayen Mayooh“.“

 

Ist Karneval, ähnlich wie in Köln, auch Teil des Stadtmarketings?
 
Der „Orden Wider den Tierischen Ernst“ ist natürlich ein großes Pfund. Er ist zusammen mit dem „Internationalen Karlspreis“ ein Leuchtturm Aachens in der medialen Welt. Beide bringen Einschaltquoten und eine bundesweite Aufmerksamkeit für unsere Stadt in ihrer Vielseitigkeit.
Besonders der Straßenkarneval in Aachen kann sich wirklich sehen lassen. Die Züge sorgen für Bewegung im doppelten Sinne, mit ihnen präsentiert sich die Stadt nach außen. Wir könnten dies durchaus selbstbewusster tun.
Auch der Festausschuss Aachener Karneval ist sehr engagiert, den Aachener Karneval mehr zur Geltung zu bringen und zu profilieren. Ich finde das richtig und angemessen. Wir tauschen uns zu dieser Frage rege aus.“

Foto: Carl Brunn

Die Karnevalsfamilie freute sich, als bekannt wurde, dass dem Oecher Schängchen durch Initiative großzügiger Stifter ein Denkmal gesetzt werden sollte. Jetzt, wo sich die Aufstellung verzögert, fehlt es zusehends an Verständnis.
Wissen Sie, warum die Aufstellung so lange dauert?
„Darin sind ja mehrere Beteiligte eingebunden. Das ist hochdemokratisch, was den Standort betrifft. Das Denkmal gehört in die Stadt. Nicht Alle, die ein Denkmal spenden, haben automatisch das Recht, dieses mitten in der Stadt zu verorten. Die Bezirksvertretung Aachen Mitte positionierte sich hierzu nach intensiven Diskussionen und legte einen Standort fest. Alle wollen  für das Schängchen einen angemessenen Platz in Aachen finden, hier gab es aber unterschiedliche Vorstellungen. Dabei muss berücksichtigt werden, wo es hinpasst, auch im Kontext mit anderen Denkmälern in der Stadt. Ich finde den Standort am Elisenbrunnen, mitten im Zentrum, eine sehr gute Lösung.“

Verkleiden gehört zum Karneval. Kappen, Federn, Zepter, Kette für Prinzen und Präsidenten und das närrische Fußvolk schlüpft in beliebige Verkleidung, besser gesagt, schlüpfte in beliebige Verkleidung. Seit man das Problem der „kulturellen Aneignung“ glaubt erkannt zu haben, ist Schluss mit lustig! Indianer, Cowboy, Sarotti-Mohr geht nicht mehr – oder?
„Sarotti-Mohr geht gar nicht. Wer mich kennt, weiß, dass ich sehr lebensnah und anpackend bin, ich habe versucht, meinen Söhnen kein Kriegsspielzeug zu geben, das habe ich auch geschafft. Aber an der Pistole im Karneval bin ich gescheitert, weil es zum Feiern dazu gehört. Es ist Teil von Karl May und es ist Teil einer Rolle, in die die Kinder schlüpfen. Es ist nicht meine Art, Dinge zu verbieten. Als Pädagogin begleite ich eher Dinge kritisch. So machte ich das mit meinen Söhnen und achtete auf den bewussten Umgang. Wenn man die Debatte sehr eng führt, darf man sich überhaupt nicht mehr verkleiden. Dann kann ich nur noch Fantasy-Kostüme nehmen, die überhaupt kein reales Abbild haben, weil ich sonst immer Gefahr laufe jemand ins Lächerliche zu ziehen. Im Kinderkarneval sollte man das Thema mit den Kindern besprechen und offensiv angehen.“

Wie wichtig ist es für Menschen im Karneval in eine andere Rolle zu schlüpfen?
„Das gehört zum Karneval originär dazu, das ist der traditionelle Hintergrund, vor der Fastenzeit noch einmal zu feiern. In der alemannischen Fastnacht haben die Kostüme unterschiedliche, spezifische Ausprägungen. Bei uns im Rheinland kostümiert man sich und begegnet sich in neuen Rollen. in dieser Zeit finde ich es wichtig, in eine andere Rolle schlüpfen zu können. Das bereitet Spaß und Freude. Karneval ist Dauerlachen im Kostüm und gibt uns neue Kraft für die ernsthaften Themen. Im Karneval kann man seine „Zwangsjacke“ des Alltags ablegen und sich neu erleben. Der Karneval ist fast „sozialistisch“. Im Karneval sind alle gleich und auf Augenhöhe. Dieses Gesellschaftsbild gefällt mir. Daher ist mir der traditionelle Karneval, der Volkskarneval, sehr nahe.“

Kritik und Spott an der Obrigkeit sind auch Elemente des Karnevals. Sind dosierte Grenzüberschreitungen erlaubt? Hat der Narr alle Freiheiten? Wo sehen Sie die Grenzen?
„Persönliche Beleidigungen sind eine absolute Grenze. Der Respekt vor der Person muss gewahrt werden. Über Inhalte, Haltung oder Sichtweisen lässt sich trefflich streiten. Angriffe gegen die Person gehen gar nicht. Da hört der Spaß auf. Ich freue mich auf die Pennsitzung und die Büttenreden, denn hier wird das Leben aufs Korn genommen.“

Bei der Auftaktveranstaltung des AAK am Holzgraben wurden Sie bei Ihrer Ansprache kurz ausgepfiffen. Hat Sie das getroffen?
„Das ist natürlich nicht angenehm, es ist eine kritische Äußerung. Ich nehme es sportlich. Das Leben ist ein stetiger Lernprozess und auch diese Menschen können überdenken, ob ihre Pfiffe angemessen waren. Das ist die Frage der Klischees und der Schubladen. Diese Menschen sehen mich in einer Schublade. Ich bin überzeugt, dieses Jahr werden es weniger Pfiffe sein. Mich ärgerte, dass die Zeitung aus den Pfiffen „Buh-Rufe“ machte. Das war deutlich übertrieben.“

Wird die Oberbürgermeisterin an der Spitze des Rosenmontagszuges durch die Stadt fahren und den Jubel des närrischen Volkes genießen?
„Auf jeden Fall. Ich werde den Menschen mit offenen Armen zujubeln. Das hat mir damals bei meinem Bruder auf dem Wagen am meisten Spaß gemacht.“

Werden Sie der Verleihung des „Ordens Wider den Tierischen Ernst“ beiwohnen? „Ja, aber selbstverständlich! Letztes Jahr bei der „Online-Sitzung“ war ich leider nicht eingeladen. Ich freue mich sehr auf die kommende Sitzung und werde im Kostüm erscheinen.“

In früheren Jahren konnten sich die Karnevalisten auf wohlwollende Unterstützung der Stadt bzw. der Oberbürgermeister verlassen.
Können sie das auch weiterhin?
„Natürlich! Nach zehn Jahren wird am Fettdonnerstag um 11 Uhr vor dem Rathaus wieder eine Bühne aufgebaut. Wir werden die Erstürmung des Rathauses begleiten. Die Frauen erstürmen das Rathaus, obwohl ja schon eine drin sitzt! Gerne überlasse ich dem Prinz und den Marktweibern das Rathaus und werde in das Karnevalstreiben der Stadt eintauchen. Diese finde ich schön: Das Volk erstürmt das Rathaus und übernimmt das närrische Regime. So kenne ich es auch aus meiner Heimatstadt in der die Möhnen das Rathaus erstürmen. In diesem Jahr wollen wir gemeinsam mit der „Blauwe Schuit“ und den Bürger*innen auf dem Markt feiern. Das KK Oecher Storm und die Rathausgarde Oecher Duemjroefe sind dabei. Die Maatwiever und die Frauen vom Oecher Storm erstürmen das Rathaus. Ich werde mit meiner Rathausgarde nicht lange standhalten, da bin ich mir sicher.“

„karnevalinaachen.de“ dankt für das Interview und wünscht einen schönen Oecher Fastelovvend 2023.