Wir fragten Helmut Schultz:
Wann und in
welchem Zusammenhang hattest Du zum ersten Mal Kontakt mit dem
Aachener Karneval?
Das war 1948 als der AKV durch Jaques Königstein seine ersten
Nachkriegsaktivitäten startete und neue Leute gesucht wurden. Der
Elferrat bestand damals schon teilweise und man suchte neue
Ehrenhüte. Mein Onkel Mattschö hatte Kontakt zu Königstein und sagte
zu mir: "Jong du weäds Ehrenhut!" Dann hat er mir noch vom Schneider
Hufschmied einen Frack machen lassen. Der Stoff hat damals viel Geld
gekostet. So war ich Ehrenhut.
Die Ehrenhüte, die es auch heute noch gibt, waren die
jungen Herren, die für den Elferrat kleine Dienstleistungen, u.a.
Saal- und Türdienst zu erbringen
hatten.
1948 warst Du ja schon 20 Jahre alt. Was war denn
in den Jahren davor, was gab es in der Kriegszeit an
Karnevalsveranstaltungen?
Garnichts, da war ja Krieg. Im Jahr 1939 war die
letzte Karnevalsveranstaltung und da hat der AKV in Ermangelung von
Orden Gutscheine ausgegeben für einen Orden nach dem Krieg.
Helmut, Du warst
1955 Prinz Karneval. 10 Jahre nach dem Krieg, hatte man damals nicht
noch andere Sorgen.
Zu dieser Zeit war es schon nichts
Besonderes mehr, denn 1949 war ja schon der erste Rosenmontagszug
durch die Straßen gezogen. Die Leute standen, wie man auf alten
Fotos sehen kann, auf den Trümmern. Die Wagen wurden nicht von
Autos, sondern von Pferden gezogen. Die Begeisterung der Bevölkerung
war bedingt durch den Nachholbedarf sehr groß.
Als damaliger
Narrenherrscher hast Du auch schon grenzüberschreitend gedacht.
Das war die Zollaktion. Unser Gefolge, das aus sieben
Herren bestand, hat dann diese Aktion erdacht. Damals musste man
alles, was man aus Holland oder Belgien einführte, beim
Grenzübertritt verzollen. Ein Hofstaatmitglied hat dann über die
Zolldirektion in Köln erreicht, dass wir hier in Aachen zwei
maßgebliche Herren verhaften konnten. Die haben wir dann mit Hilfe
der Prinzengarde, die mit großem Aufgebot aufmarschiert war, im
Hauptzollamt am Hauptbahnhof verhaftet. Wir führten die Leute in
Ketten ab und fuhren mit ihnen per Tram nach Vaalserquartier.
Ein
Delinquent war der Hauptsekretär Rübsaat, der andere Name fällt mir
gerade nicht mehr ein. Wir sind dann durch die Stadt mit der
modernsten Straßenbahn und dem ältesten Wagen nach Vaalserquartier
gefahren. Wir hatten noch den Karnevalisten Pit Bauendahl
dabei. Die
Aktion wurde einige Tage vorher
in der Aachener Presse als geheime Kommandosache angekündigt. Nur
wenige Leute hatten genau Kenntnis über unser Vorhaben.
In Vaalserquartier angekommen haben wir dann zuerst
die deutschen Zollbeamten in eine Arrestzelle gesperrt und dann sind
wir rüber auf die holländische Seite gegangen und haben auch diese
Zöllner verhaftet. Natürlich waren alle Beamten von ihren
Vorgesetzten informiert damit es nicht zu einer Schießerei kommt.
Die saßen nun bei Bier, Wacholder und einem Brötchen in der
Arrestzelle.
Da im Karneval alles mit der Zahl 11 zu tun hat,
haben wir dann für 11 Minuten die Schlagbäume geöffnet und den
Verkehr passieren lassen.
Die Passanten die über Grenze kamen
mussten dann ihre Taschen öffnen, die Damen mussten den Prinz küssen
und durften dann passieren. Die Männer mussten 11 Pfennig Zoll
bezahlen. Nach offiziell 11 Minuten,
es konnte aber auch eine halbe Stunde gewesen sein, da war die
Aktion vorbei, wir sind wieder nach Aachen gefahren und haben weiter
die prinzlichen Termine wahrgenommen.
Wie feierte man
damals, 1955, den Karneval?
Es bestand ein ungeheuer großer Nachholbedarf. Am Elisenbrunnen
zogen junge und alte Leute in 50-ziger Reihen singend und schunkelnd
über die Straße. Da gab es ja auch kaum Autos, du konntest auf allen
Plätzen ungestört feiern. Auch in den Sälen wurde gefeiert.
Es gab damals nur einige Säle, das alte Kurhaus, das
neue Kurhaus, Forsthaus Siegel und Linzenshäuschen. Alle Säle waren
voll. Die Begeisterung war so groß wenn man dort als Prinz
einmarschierte, dann brauchte man auch keine Lieder zu singen,
da begrüßte man die Leute, sagte: "Ich freu mich dass ihr alle da
seid!" und dann rief man "Oche Alaaf".
Da amüsierten sich die Leute noch selbst.
Heute machen die Prinzen so etwas wie eine
"Minishow", wie findest Du dies?
Früher hat das Volk sich selbst unterhalten,
geschunkelt und Lieder gesungen. Heute sagen die Menschen , " ...
ich habe Eintritt bezahl, jetzt bietet mir was!" Da muss eine Schau
besser werden als die andere. Das liegt auch am Fernsehen. Früher
wurde im Radio Karnevalslieder gespielt und gesungen. Die
Eintrittspreise lagen damals bei 2,- DM, heute bei 20,- €, ein Bier
kostete 50 Pfennig. Die Akteure hatten damals auch andere Preise als
heute.
Karneval unterliegt einem Wandel. Es gibt neue Formen der
Veranstaltung besonders für das jüngere Publikum. Geht durch diese
Entwicklung der Brauchtumscharacter des Karnevals verloren?
Durch die Vielzahl der Veranstaltungen entsteht eine
Art "Überproduktion". Du kommst heute manchmal in Säle, da ist der
Vereinsvorstand zahlreicher vertreten als die Gäste.
Junge Leute an den Karneval heranführen wird immer schwerer. Damals
war das Angebot an Vergnügungen nicht so zahlreich. Hinzu kommt,
dass heute die Sache immer teurer wird. Damals konnte man am
Fettdonnerstag, beim Volkskarneval, zwischen
beiden Kurhäusern, altes Kurhaus und neues Kurhaus hin und her wandern
und zahlte nur einmal den Eintritt.
Wie siehst Du die
Zukunft des Karnevals in Aachen?
Die Medien haben einen großen Einfluss. Früher wurden
zwei Sitzungen übertragen, heute 30. Die Leute bekommen den Karneval
ins Haus geliefert. Dann sind sie übersättigt und hinzu kommt, dass
man nicht das bieten kann was das Fernsehen bietet.
Welche
Veranstaltung würdest Du einem karnevalistischen Anfänger empfehlen?
Ich würde mir generell einen Verein aussuchen, der noch volksnah
feiert, wo man sich eine Pappnase aufsetzt und nicht im schwarzen
Anzug erscheinen muss. Karneval beim Öcher Schängchen wäre zum
Beispiel eine solche Veranstaltung. Natürlich gehört zum Öcher
Karneval auch Öcher Platt.
Wenn ich nicht so eingebunden wäre in den Karneval
würde ich kaum zu fünf oder sechs Veranstaltungen gehen. AKV,
Prinzengarde, Penn und Börjerwehr das wären die Veranstaltungen, die
ich besuchen würde.
Wenn Du im
Karneval das Sagen hättest, was würden Du ändern?
Es gibt 55 Vereine in Aachen und denen würde ich empfehlen mehr
gemeinsam zu machen und vielleicht nur 10 Sitzungen anzubieten.
Deinem Verein, dem AKV, dienst Du in
verschiedenen Funktionen.
Seit 1948 bin ich Mitglied im AKV.
Zunächst als Ehrenhut bis 1957 also bis 2 Jahre nach meiner Zeit als
Prinz Karneval und dann aus beruflichen Gründen habe ich mich bis 1972 etwas zurückgehalten und bin dann ins Prinzengefolge bei
Herbert Stracke mit der Figur als Notar berufen worden. In dieser
Zeit habe ich dann auch meine jetzige Frau, meine liebe Elfriede,
kennen und lieben gelernt. Ab da habe ich wieder fast alle
AKV-Veranstaltungen besucht. In den 80-ziger Jahren bin ich häufig
angesprochen worden in den Elferat zu gehen was ich aber auch hier aus
beruflichen Gründen nicht konnte. 1987 bat mich Alfred Wellen
nochmals und ich wurde in den Elferrat gewählt. Nach 5
Jahren wurde der Beirat innerhalb des Elferrates gegründet und seit
dem war ich beim AKV in
der Abteilung "Getuma" - "Geh mal, tu, mach mal !"
Ich bin vom AKV oft geehrt worden und ich glaube, es gibt kaum einen
Orden, den der AKV zu verlieh, den ich nicht bekommen habe.
Vor zwei Jahren, mit dem 77. Lebensjahr habe ich mich zurückgezogen,
hatte aber schon 3 Jahre vorher meinen jetzigen Nachfolger, Willy
Kick, in meine Arbeitsbereiche eingearbeitet.
Heute kümmere ich mich nur noch um den Weinberg des AKV und mache
einige Archivarbeiten.
Seit 1979 hat der AKV auch einen Weinberg.
Kann man sagen Helmut Schultz ist der Winzer des AKV?
Ja, was man so Winzer nennen kann. Ich kümmere mich um die Pflege
des AKV-Weinberges. Diese Aufgabe habe ich von Hubert Nadenau
übernommen. Die Pflege haben früher Angestellte des Stadtgartenamtes
erledigt, heute machen das zwei Rentner.
Was geschieht mit dem guten Tropfen, dem
ÖCHER HEUSCHRECK?
Der gute
Tropfen hat den Namen "Öcher Heuschreck Durchbruch". Diesen Namen
hat der Ordensritter Walter Scheel geprägt. "Öcher" steht für
Aachen, "Heuschreck" ist der Name des Trierer Karnevalsvereins, der
dem AKV damals 111 Rebstöcke schenkte.
Im Stadtgarten auf dem Wingertsberg stehen heute aber nur 99 Rebstöcke,
weil ein Weinberg mit 100 Rebstöcken vom Fiskus als "gewerblich"
betrieben eingestuft wird.
Wir trafen Helmut Schultz bei van den Daele , im
Traditionshaus "Alt Aachener Kaffeestuben".
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