Interview mit Bischof Dr. Helmut Dieser

Bischof Dr. Helmut Dieser wurde 1962 in Neuwied geboren, ist aufgewachsen in Heimbach-Weis, und ist seit frühester Kindheit in seinem Heimatort mit Karneval aufgewachsen und im-mer mehr hineingewachsen. Zum Bischof wurde Dr. Helmut Dieser 2011 geweiht und ist seit November 2016 Bischof zu Aachen. Der "Trierer Volksfreund“ beschrieb Bischof Dieser in einem Zeitungsartikel als Freund des Karnevals, der auch in der Karnevalszeit Predigten in Reimform hielt. karnevalinaachen.de sprach mit dem Bischof von Aachen über das rheinische Kulturgut “Karneval“.


 

Das folgende Interview mit Bischof Dieser führte Helmut Koch für "karnevalinaachen.de"
 

Wie haben Sie den Karneval in Ihrer Heimat erlebt?    

 

„In Heimbach-Weis bin ich aufgewachsen, einem Doppelort mit jeweils einer eigenen Karnevalsgesellschaft. Beide Gesellschaften sind aus dem Jahr 1827 und sind damit die viertältesten Karnevalsvereine im Rheinland (1823 Köln, 1824 Koblenz, 1826 Bonn). Der Umzug in Heimbach-Weis ist einer der schönsten und größten Karnevalsumzüge im Rheinland zwischen Mainz und Köln. Der Zug geht bis zum heutigen Tag an meinem Elternhaus vorbei. Ich kenne das von Kindheit an und als Kleinkind habe ich, sobald ich am Fenster gucken konnte, den Zug geschaut. Ich war immer dabei und als ich älter war, habe ich im Zug auch mitgemacht. Das ist bis heute ein Highlight und es zieht mich immer noch jedes Jahr heim. Ich habe es geliebt und ich genieße es immer noch: Am Veilchendienstag ist das Haus voll, ein Kommen und Gehen, die Menschen sind fröhlich beisammen.

Foto: Bistum Aachen

Kurz nachdem Sie Bischof von Aachen geworden sind, sind Sie auch hier im Bistum mit Karneval in Berührung gekommen.
"Ja, in meinem ersten Jahr als Aachener Bischof wurde ich schon geehrt: In Krefeld bin ich „Steckenpferd-Ritter“ Und bei der „Ordensverleihung wider den tierischen Ernst“ des AKV war ich auch schon dabei. Leider habe ich es zeitlich noch nicht geschafft, weitere Einladungen anderer Karnevalsgesellschaften anzunehmen.“

Karneval ist für Kinder ein tolles Fest. Können Sie sich an erste Erfahrungen aus Ihrer Kindheit erinnern. Welches Kostüm bevorzugten Sie als Kind?
„Als Kind war ich natürlich gerne Cowboy oder Indianer. Ich hatte eine Pistole und Knallpatronen auf einer Papierrolle.“ (schmunzelt)

Sie haben auch Predigten in Reimform gehalten, schrieb der Trierer Volksfreund. Wie kann man sich das vorstellen?
„Als Pfarrer von Adenau habe ich versucht, die Heilige Schrift, also die Texte des Karnevalssonntags auf eine andere Weise zu erschließen. Die Leute hatten ihre Freude daran und waren geneigt, genau zuzuhören.“

Goethe beschreibt u.a. den Karneval so:
„Löblich ist ein tolles Streben, wenn es kurz ist und mit Sinn!“.
Zum Thema Karneval finden sich weitere Zitate wie z.B.: „Karneval ist ein Fest, das dem Volke nicht gegeben ist, sondern das sich das Volk selbst gibt!“, oder auch: „Der Mensch ist nur hinter einer Maske ganz er selbst“
Ist Karneval wichtig für die Menschen?
„Ja, sehr! Deswegen bin ich ein Freund des Karnevals. Ich glaube, dass er eine Chance bietet, Seiten von uns zu zeigen, die wir sonst nicht zeigen können. An Karneval können wir aus uns herausgehen gehen und sind vielleicht oft sogar von uns selbst überrascht: Zum Beispiel „Ach, das hast Du jetzt so gemacht, das hast Du selbst so nicht von dir erwartet und andere Menschen eben auch nicht!“ Und diese Art, die Dinge einmal ganz anders anzugehen, kann hilfreich sein. Es kann reinigend sein, bestimmte Härten hinter sich zu lassen und zu sehen: Wir können auch ganz anders miteinander umgehen. Das muss nicht mit Aschermittwoch vorbei sein, sondern kann über das Ende des Karnevals hinaus wirken.“

Der Kölner Psychologe und Pädagoge, Wolfgang Oelsner, schrieb ein Buch mit dem Titel: „Fest der Sehnsüchte – Warum Menschen Karneval brauchen“
Ist Karneval gut für die Seele?
„Ja, weil er hilft Dinge zu verarbeiten, die sonst viel zu hart sind. Ich glaube wirklich, je ernster die Zeiten sind, umso mehr brauchen wir den Karneval, weil bestimmte Zeiterscheinungen dem Leben widerstreben.
Zum Beispiel die Hasskultur, die es im Internet gibt, die den Menschen fertig macht. Karneval ist viel menschenfreundlicher und auch klüger. Er hat eine Kultur der Kritik, auch der Kritik an Autoritäten, ohne sie fertig zu machen und ohne dass man sich hinterher nicht mehr in die Augen schauen kann oder sich aus dem Weg gehen muss. Diese Kritik, Dinge los zu werden oder vom zu hohen Sockel zu holen, ist die Chance, die der Karneval bietet. Er kann helfen, dass das Leben wieder menschlicher ist und die schweren Dinge nicht mehr so schwer sind, weil man gelernt hat, nicht ganz davon gefangen zu sein.“

Gehört der Karneval zum Wesen des Rheinländers?
„Ich meine ja, er ist typisch, der rheinische Karneval, die Art, wie wir ihn feiern. Zwischen Mainz und Düsseldorf gibt es eigene Variationen, aber es ist Rheinischer Karneval in der Auseinandersetzung mit den Preußen, die damals im Rheinland waren und wo man sie als Rheinländer entweder integriert hat oder ihnen zeigte, dass sie nicht allein die Herren im Lande waren. Einerseits die Auseinandersetzung mit dem Staat, aber auch mit der Autorität der Kirche. Es ist auch typisch für den Rheinischen Karneval, dass er katholisch geprägt ist. So können im Karneval auch Dinge, die mit der Kirche zu tun haben, hinterfragt werden. Kritik ist erlaubt, aber sie darf nicht vernichtend sein.

Der Karnevalist lebt den Tag in vollen Zügen und ist sich der Sterblichkeit bewusst. Karneval findet zwischen dem Fest Hl. Drei Könige und Aschermittwoch statt. „Carpe diem“ und „memento mori“, sind dies nicht auch die Leitplanken des Christen?
„So ist es. Und ich bin überzeugt, dass der Karneval von diesem harten Einschnitt des Aschermittwochs lebt. Den braucht er. Wenn Karneval endlos wäre, dann verlöre er seinen Charakter. Der Aschermittwoch und das Ende des Karnevals erinnert wirklich daran, dass der Mensch nicht für immer auf Erden ist. Aschermittwoch zeigt uns, dass wir alles, was wir hier haben, auf Zeit geliehen haben, dass es vergänglich ist, man sich aber trotzdem freuen kann. Es geht darum, in der Zeit, die wir hier auf der Erde sind, die Freude zu finden und gut miteinander zu leben. Im Karneval drückt es sich dadurch aus, dass wir miteinander schunkeln und uns in den Arm nehmen. Diese Erfahrungen sind urchristlich. Es ist die Suche nach dem Reich Gottes, das sich hier verbirgt und sich hier finden lässt, als Verheißung für noch viel größeres.“

Ab und zu werden immer mal wieder Stimmen laut die sagen, man solle Karneval in den Sommer verlegen. Was sagen Sie dazu?
„Ich meine, das beschädigt dann den Karneval. Alles lebt auch von der Geprägtheit der Zeit. Man könnte bei uns auf der Nordhalbkugel auch Weihnachten nicht im Sommer feiern, weil unsere Kultur rund um das Weihnachtsfest davon lebt, dass es Winter ist. Und der Karneval lebt davon, dass er vor der Fastenzeit liegt. Im Alemannischen wird Karneval so verstanden, dass er den Winter austreibt. Der Rheinische Karneval lebt davon, vor der Fastenzeit noch einmal so richtig über die Stränge zu schlagen.“

In Kölner Karnevalsliedern kommt der Herrgott vor:
„Und dr Herjott hät sing Freud!“ oder „Es gibt ein Leben nach dem Tod“
„Der liebe Gott weiß, dass ich kein Engel bin“
Ist Karneval eine Erfindung der Kirche?
„Der Karneval hat keine Abwehr gegen den christlichen Glauben. Ganz im Gegenteil, er ist offen dafür, dass das, was der Karneval erlebt, in ein Ganzes gehört und ein Teil des Lebens auf dieser Welt ist. Der Karneval steigt nicht aus der Welt aus, sondern er will ja gerade das frei legen, was das Leben in dieser Welt auch sein muss: nämlich Freude und Gemeinschaft, Humor und Lachen, die Dinge zu entzaubern. Genau diese sympathische Seite gehört zum Leben und ist nichts Exklusives. Der Rheinische Karneval ist auf katholischem Boden entstanden. Ich kann mir vorstellen, dass mancher Bischof und Pfarrer im 18. und 19. Jahrhundert, als das losging, die Sorge hatte, die Leute könnten kein Maß haben. Man war sehr skeptisch und sah mehr die Gefahr der Sünde als die Chance. Natürlich gibt es auch heute noch Situationen, in denen die Menschen sich „weh“ tun statt sich „gut“ zu tun. Dann sind sie enttäuscht, statt sich miteinander zu freuen. Aber wir sind heute nicht mehr so ängstlich zu meinen, dass der Karneval die Sitten verdirbt. Der Karneval ist ja auch selbstkritisch. Zum Beispiel bei der Frage: Worüber kann man lachen und worüber besser nicht. Wer diese Fragen nicht beachtet, kann bei Büttenreden furchtbar baden gehen.“

Karnevalisten und Narren sind kritisch bis respektlos. Auch vor kirchlichen Würdenträgern machen sie nicht halt. Darf das sein?
„Die Kritik sehe ich als Chance, Dinge anzusprechen, die sonst nie Raum finden würden, wo sie zum Ausdruck gebracht würden. Dieses Ventil sollte man in guter Weise nutzen, so dass diejenigen, auf die das zielt, nachdenklicher werden und die Kritik annehmen können. Dennoch sollte diese Kritik nicht vernichtend sein. Der Kritiker will ja nichts zerstören, sondern er will das Miteinander menschlicher werden lassen.“

Karneval - Verkehrte Welt - Rollenspiel als Erwachsener Kostüm, Kappe, Uniform. Ist es gut für die Seele wenn man ab und zu eine "andere" Identität annimmt?
„An Karneval hat man als Erwachsener noch einmal die Chance, Kind zu sein.“

Ein modernes Schlagwort ist der Begriff „Kulturelle Aneignung“. Als „Indianer“ kostümiert stellt bereits eine solche Aneignung dar.
Wie sehen Sie diese neue Problematik?
„Wenn ich einen Cowboy spiele, dann mache ich das, weil ich es faszinierend finde. Wie ist das Lebensgefühl, wie mag es sein, wenn man auf einem Pferd sitzt, wenn man riesige Rinderherden leiten muss? Hinter der Verkleidung steckt, selber mal zu sein, was der Andere ist. Es ist eine falsche Unterstellung anzunehmen, dass ich damit den Anderen abwerte. Das Gegenteil ist der Fall, ich werte ihn auf, wenn ich so sein möchte wie er.“

Darf man als Nonne, Priester oder Bischof kostümiert Karneval feiern?
„Da bin ich tolerant. Was ich nicht sehen kann, sind die eigentlichen Zeichen des Glaubens. Ein Kreuz zum Beispiel oder ein anderer Andachtsgegenstand gehören nach meinem Empfinden nicht in den Karneval. Das Heilige kann und darf man nicht karikieren. Als ich einmal jemandem begegnet bin, der als Papst verkleidet war und ein Brustkreuz trug, habe ich ihm gesagt: „Das Papstkostüm ist ok., aber bitte lassen Sie das Kreuz doch weg. Mit dem Zeichen, vor dem ich bete, kann ich nicht karnevalistisch sein, es kann nicht Gegenstand von Witz sein.“

Darf man lustig und ausgelassen Karneval feiern wenn in der Nachbarschaft Krieg herrscht?
„Das darf man, ohne den Krieg zu vergessen oder ihn zu verharmlosen. Wir müssen uns weiter damit auseinandersetzen. Und das geht ja in angemessener Form auch im Karneval, wenn er es schafft, dass die Menschen sich von all dem Widersinnigen und Unmenschlichen des Krieges distanzieren können.“

Humor, Friedfertigkeit und soziales Engagement sind Säulen des Karnevals.
Aachener Karnevalsprinzen verbinden ihre närrische Regentschaft auch mit einem sozialen Aspekt. Hat der Karneval auch eine stabilisierende Wirkung in der Gesellschaft?
„Ja, der Karneval hat reinigende Wirkung in der Weise, dass Dinge, die sich allzu schwer und großartig geben, entzaubert werden, in ein anderes Licht gerückt und dadurch wieder leichter werden und man wieder souveräner wird. Das sind für die Menschen Selbsterfahrungen und wo diese möglich sind, haben es Diktatoren und Rattenfänger immer schwer. Hier denke ich auch an die Chancen in den kirchlichen Gemeinschaften, Karneval zu feiern. Da können dann auch Menschen dabei sein, die den großen Karneval nicht mitmachen können wie ältere Menschen oder Kinder. In meiner Heimat gab es nach dem Kinderzug am Fastnachtssonntag den sogenannten „Sprudelball“ für die Kinder im Pfarrheim. Einige gingen zwar schon lieber in die Kneipe, aber wer dafür kein Geld hatte, hatte seine Freude beim Sprudelball.“

„karnevalinaachen.de“ dankt für das Interview und wünscht einen schönen Oecher Fastelovvend 2023.

(hko., Fotos: Bistum Aachen)