Das folgende Interview mit Bischof Dieser führte Helmut
Koch für "karnevalinaachen.de"
Wie haben Sie
den Karneval in Ihrer Heimat erlebt?
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„In Heimbach-Weis bin
ich aufgewachsen, einem Doppelort mit jeweils einer
eigenen Karnevalsgesellschaft. Beide Gesellschaften sind
aus dem Jahr 1827 und sind damit die viertältesten
Karnevalsvereine im Rheinland (1823 Köln, 1824 Koblenz,
1826 Bonn). Der Umzug in Heimbach-Weis ist einer der
schönsten und größten Karnevalsumzüge im Rheinland
zwischen Mainz und Köln. Der Zug geht bis zum heutigen
Tag an meinem Elternhaus vorbei. Ich kenne das von
Kindheit an und als Kleinkind habe ich, sobald ich am
Fenster gucken konnte, den Zug geschaut. Ich war immer
dabei und als ich älter war, habe ich im Zug auch
mitgemacht. Das ist bis heute ein Highlight und es zieht
mich immer noch jedes Jahr heim. Ich habe es geliebt und
ich genieße es immer noch: Am Veilchendienstag ist das
Haus voll, ein Kommen und Gehen, die Menschen sind
fröhlich beisammen. |
Foto:
Bistum Aachen |
Kurz nachdem Sie Bischof von Aachen geworden sind,
sind Sie auch hier im Bistum mit Karneval in Berührung gekommen.
"Ja, in meinem ersten Jahr als Aachener Bischof wurde ich schon
geehrt: In Krefeld bin ich „Steckenpferd-Ritter“ Und bei der
„Ordensverleihung wider den tierischen Ernst“ des AKV war ich auch
schon dabei. Leider habe ich es zeitlich noch nicht geschafft,
weitere Einladungen anderer Karnevalsgesellschaften anzunehmen.“
Karneval ist für Kinder ein tolles Fest. Können
Sie sich an erste Erfahrungen aus Ihrer Kindheit erinnern. Welches
Kostüm bevorzugten Sie als Kind?
„Als Kind war ich natürlich gerne Cowboy oder Indianer. Ich hatte
eine Pistole und Knallpatronen auf einer Papierrolle.“ (schmunzelt)
Sie haben auch Predigten in Reimform gehalten,
schrieb der Trierer Volksfreund. Wie kann man sich das vorstellen?
„Als Pfarrer von Adenau habe ich versucht, die Heilige Schrift, also
die Texte des Karnevalssonntags auf eine andere Weise zu
erschließen. Die Leute hatten ihre Freude daran und waren geneigt,
genau zuzuhören.“
Goethe beschreibt
u.a. den Karneval so:
„Löblich ist ein tolles Streben, wenn es kurz ist und mit Sinn!“.
Zum Thema Karneval finden sich weitere Zitate wie z.B.: „Karneval
ist ein Fest, das dem Volke nicht gegeben ist, sondern das sich das
Volk selbst gibt!“, oder auch: „Der Mensch ist nur hinter einer
Maske ganz er selbst“
Ist Karneval wichtig für die Menschen?
„Ja, sehr! Deswegen bin ich ein Freund des Karnevals. Ich glaube,
dass er eine Chance bietet, Seiten von uns zu zeigen, die wir sonst
nicht zeigen können. An Karneval können wir aus uns herausgehen
gehen und sind vielleicht oft sogar von uns selbst überrascht: Zum
Beispiel
„Ach, das hast
Du jetzt so gemacht, das hast Du selbst so nicht von dir erwartet
und andere Menschen eben auch nicht!“ Und diese Art, die Dinge
einmal ganz anders anzugehen, kann hilfreich sein. Es kann reinigend
sein, bestimmte Härten hinter sich zu lassen und zu sehen: Wir
können auch ganz anders miteinander umgehen. Das muss nicht mit
Aschermittwoch vorbei sein, sondern kann über das Ende des Karnevals
hinaus wirken.“
Der Kölner
Psychologe und Pädagoge, Wolfgang Oelsner, schrieb ein Buch mit dem
Titel: „Fest der Sehnsüchte – Warum Menschen Karneval brauchen“
Ist Karneval gut für die Seele?
„Ja, weil er hilft Dinge zu verarbeiten, die sonst viel zu hart
sind. Ich glaube wirklich, je ernster die Zeiten sind, umso mehr
brauchen wir den Karneval, weil bestimmte Zeiterscheinungen dem
Leben widerstreben.
Zum Beispiel die Hasskultur, die es im Internet gibt, die den
Menschen fertig macht. Karneval ist viel menschenfreundlicher und
auch klüger. Er hat eine Kultur der Kritik, auch der Kritik an
Autoritäten, ohne sie fertig zu machen und ohne dass man sich
hinterher nicht mehr in die Augen schauen kann oder sich aus dem Weg
gehen muss. Diese Kritik, Dinge los zu werden oder vom zu hohen
Sockel zu holen, ist die Chance, die der Karneval bietet. Er kann
helfen, dass das Leben wieder menschlicher ist und die schweren
Dinge nicht mehr so schwer sind, weil man gelernt hat, nicht ganz
davon gefangen zu sein.“
Gehört der
Karneval zum Wesen des Rheinländers?
„Ich meine ja, er ist typisch, der rheinische Karneval, die Art, wie
wir ihn feiern. Zwischen Mainz und Düsseldorf gibt es eigene
Variationen, aber es ist Rheinischer Karneval in der
Auseinandersetzung mit den Preußen, die damals im Rheinland waren
und wo man sie als Rheinländer entweder integriert hat oder ihnen
zeigte, dass sie nicht allein die Herren im Lande waren. Einerseits
die Auseinandersetzung mit dem Staat, aber auch mit der Autorität
der Kirche. Es ist auch typisch für den Rheinischen Karneval, dass
er katholisch geprägt ist. So können im Karneval auch Dinge, die mit
der Kirche zu tun haben, hinterfragt werden. Kritik ist erlaubt,
aber sie darf nicht vernichtend sein.
Der Karnevalist
lebt den Tag in vollen Zügen und ist sich der Sterblichkeit bewusst.
Karneval findet zwischen dem Fest Hl. Drei Könige und Aschermittwoch
statt. „Carpe diem“ und „memento mori“, sind dies nicht auch die
Leitplanken des Christen?
„So ist es. Und ich bin überzeugt, dass der Karneval von diesem
harten Einschnitt des Aschermittwochs lebt. Den braucht er. Wenn
Karneval endlos wäre, dann verlöre er seinen Charakter. Der
Aschermittwoch und das Ende des Karnevals erinnert wirklich daran,
dass der Mensch nicht für immer auf Erden ist. Aschermittwoch zeigt
uns, dass wir alles, was wir hier haben, auf Zeit geliehen haben,
dass es vergänglich ist, man sich aber trotzdem freuen kann. Es geht
darum, in der Zeit, die wir hier auf der Erde sind, die Freude zu
finden und gut miteinander zu leben. Im Karneval drückt es sich
dadurch aus, dass wir miteinander schunkeln und uns in den Arm
nehmen. Diese Erfahrungen sind urchristlich. Es ist die Suche nach
dem Reich Gottes, das sich hier verbirgt und sich hier finden lässt,
als Verheißung für noch viel größeres.“
Ab und zu werden
immer mal wieder Stimmen laut die sagen, man solle Karneval in den
Sommer verlegen. Was sagen Sie dazu?
„Ich meine, das beschädigt dann den Karneval. Alles lebt auch von
der Geprägtheit der Zeit. Man könnte bei uns auf der Nordhalbkugel
auch Weihnachten nicht im Sommer feiern, weil unsere Kultur rund um
das Weihnachtsfest davon lebt, dass es Winter ist. Und der Karneval
lebt davon, dass er vor der Fastenzeit liegt. Im Alemannischen wird
Karneval so verstanden, dass er den Winter austreibt. Der Rheinische
Karneval lebt davon, vor der Fastenzeit noch einmal so richtig über
die Stränge zu schlagen.“
In Kölner
Karnevalsliedern kommt der Herrgott vor:
„Und dr Herjott hät sing Freud!“ oder „Es gibt ein Leben nach dem
Tod“
„Der liebe Gott weiß, dass ich kein Engel bin“
Ist Karneval eine Erfindung der Kirche?
„Der Karneval hat keine Abwehr gegen den christlichen Glauben. Ganz
im Gegenteil, er ist offen dafür, dass das, was der Karneval erlebt,
in ein Ganzes gehört und ein Teil des Lebens auf dieser Welt ist.
Der Karneval steigt nicht aus der Welt aus, sondern er will ja
gerade das frei legen, was das Leben in dieser Welt auch sein muss:
nämlich Freude und Gemeinschaft, Humor und Lachen, die Dinge zu
entzaubern. Genau diese sympathische Seite gehört zum Leben und ist
nichts Exklusives. Der Rheinische Karneval ist auf katholischem
Boden entstanden. Ich kann mir vorstellen, dass mancher Bischof und
Pfarrer im 18. und 19. Jahrhundert, als das losging, die Sorge
hatte, die Leute könnten kein Maß haben. Man war sehr skeptisch und
sah mehr die Gefahr der Sünde als die Chance. Natürlich gibt es auch
heute noch Situationen, in denen die Menschen sich „weh“ tun statt
sich „gut“ zu tun. Dann sind sie enttäuscht, statt sich miteinander
zu freuen. Aber wir sind heute nicht mehr so ängstlich zu meinen,
dass der Karneval die Sitten verdirbt. Der Karneval ist ja auch
selbstkritisch. Zum Beispiel bei der Frage: Worüber kann man lachen
und worüber besser nicht. Wer diese Fragen nicht beachtet, kann bei
Büttenreden furchtbar baden gehen.“
Karnevalisten und Narren sind kritisch bis
respektlos. Auch vor kirchlichen Würdenträgern machen sie nicht
halt. Darf das sein?
„Die Kritik sehe ich als Chance, Dinge anzusprechen, die sonst nie
Raum finden würden, wo sie zum Ausdruck gebracht würden. Dieses
Ventil sollte man in guter Weise nutzen, so dass diejenigen, auf die
das zielt, nachdenklicher werden und die Kritik annehmen können.
Dennoch sollte diese Kritik nicht vernichtend sein. Der Kritiker
will ja nichts zerstören, sondern er will das Miteinander
menschlicher werden lassen.“
Karneval - Verkehrte Welt - Rollenspiel als
Erwachsener Kostüm, Kappe, Uniform. Ist es gut für die Seele wenn
man ab und zu eine "andere" Identität annimmt?
„An Karneval hat man als Erwachsener noch einmal die Chance, Kind zu
sein.“
Ein modernes
Schlagwort ist der Begriff „Kulturelle Aneignung“. Als „Indianer“
kostümiert stellt bereits eine solche Aneignung dar.
Wie sehen Sie diese neue Problematik?
„Wenn ich einen Cowboy spiele, dann mache ich das, weil ich es
faszinierend finde. Wie ist das Lebensgefühl, wie mag es sein, wenn
man auf einem Pferd sitzt, wenn man riesige Rinderherden leiten
muss? Hinter der Verkleidung steckt, selber mal zu sein, was der
Andere ist. Es ist eine falsche Unterstellung anzunehmen, dass ich
damit den Anderen abwerte. Das Gegenteil ist der Fall, ich werte ihn
auf, wenn ich so sein möchte wie er.“
Darf man als
Nonne, Priester oder Bischof kostümiert Karneval feiern?
„Da bin ich tolerant. Was ich nicht sehen kann, sind die
eigentlichen Zeichen des Glaubens. Ein Kreuz zum Beispiel oder ein
anderer Andachtsgegenstand gehören nach meinem Empfinden nicht in
den Karneval. Das Heilige kann und darf man nicht karikieren. Als
ich einmal jemandem begegnet bin, der als Papst verkleidet war und
ein Brustkreuz trug, habe ich ihm gesagt: „Das Papstkostüm ist ok.,
aber bitte lassen Sie das Kreuz doch weg. Mit dem Zeichen, vor dem
ich bete, kann ich nicht karnevalistisch sein, es kann nicht
Gegenstand von Witz sein.“
Darf man lustig
und ausgelassen Karneval feiern wenn in der Nachbarschaft Krieg
herrscht?
„Das darf man, ohne den Krieg zu vergessen oder ihn zu verharmlosen.
Wir müssen uns weiter damit auseinandersetzen. Und das geht ja in
angemessener Form auch im Karneval, wenn er es schafft, dass die
Menschen sich von all dem Widersinnigen und Unmenschlichen des
Krieges distanzieren können.“
Humor,
Friedfertigkeit und soziales Engagement sind Säulen des Karnevals.
Aachener Karnevalsprinzen verbinden ihre närrische Regentschaft auch
mit einem sozialen Aspekt. Hat der Karneval auch eine
stabilisierende Wirkung in der Gesellschaft?
„Ja, der Karneval hat reinigende Wirkung in der Weise, dass Dinge,
die sich allzu schwer und großartig geben, entzaubert werden, in ein
anderes Licht gerückt und dadurch wieder leichter werden und man
wieder souveräner wird. Das sind für die Menschen Selbsterfahrungen
und wo diese möglich sind, haben es Diktatoren und Rattenfänger
immer schwer. Hier denke ich auch an die Chancen in den kirchlichen
Gemeinschaften, Karneval zu feiern. Da können dann auch Menschen
dabei sein, die den großen Karneval nicht mitmachen können wie
ältere Menschen oder Kinder. In meiner Heimat gab es nach dem
Kinderzug am Fastnachtssonntag den sogenannten „Sprudelball“ für die
Kinder im Pfarrheim. Einige gingen zwar schon lieber in die Kneipe,
aber wer dafür kein Geld hatte, hatte seine Freude beim
Sprudelball.“
„karnevalinaachen.de“ dankt für das Interview und wünscht einen
schönen Oecher Fastelovvend 2023.
(hko., Fotos: Bistum
Aachen) |
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